Opéra-comique in vier Akten
(entstanden 1873—1875, uraufgeführt 1875)
Libretto von Henri Meilhac und Ludovic Halévy
nach der Novelle Carmen von Prosper Mérimée
Neuinszenierung
„Mein Geheimnis hüte ich, und ich hüte es gut.“
„Wer weiß, welchem Dämon ich beinahe zum Opfer fiel!“ Ein Kuss von seiner Mutter, überbracht von der jungen Micaëla, und die Erinnerung an das heimatliche Dorf haben Don José gerade noch gerettet. Der „Dämon“, auf den er anspielt, ist jene Frau, die ihm kurz zuvor herausfordernd eine Blume zugeworfen hat: nicht einem der vielen Männer, die sie begierig erwartet hatten, sondern ihm, einem unbekannten Offizier, der sie als einziger nicht beachtete. José spürt sofort die Macht, die Carmen auf ihn ausübt. Er wird ihr mit jeder Faser verfallen, zum Deserteur und Kriminellen werden, um ihr nah zu sein. Und als sie sich von ihm abwendet und ein Verhältnis mit dem Stierkämpfer Escamillo eingeht, wird er sie töten.
Carmens Faszination ist eng verflochten mit ihrer Unkontrollierbarkeit. Diese zeigt sich am offensichtlichsten in ihrem Anspruch, ihre Partner nach freiem Willen zu wählen und wieder zu verlassen: Liebe kann genossen, aber weder erzwungen noch festgehalten werden. Für José hingegen verlangt Liebe nach Dauer, ist besitzergreifend und eifersüchtig: Wer sie ihm entzieht oder streitig macht, demütigt sein Ego, provoziert Gewalt. Der bürgerlichen Moral des 19. Jahrhunderts (und darüber hinaus) erschien Carmens offensiv zur Schau getragene sexuelle Unabhängigkeit als anstößig, ja skandalös. Dem Publikum der Pariser Opéra-Comique, wo sie 1875 erstmals die Bühne betrat, war diese Protagonistin nur zumutbar, weil sie als „Zigeunerin“ und soziale Außenseiterin auf radikale Andersartigkeit fixiert wurde. Das machte sie nur noch gefährlicher: Sie erhielt das Potenzial, verführerische und beunruhigende Gegenbilder zu schaffen – zu Lebensmodellen, zu Konventionen und Zwängen.
Als José – im Rang degradiert, weil er sie vor dem Gefängnis bewahrt hat – Carmen im zweiten Akt von Bizets Oper aufsucht, um die versprochene Belohnung zu erhalten, stürzt sie ihn in ein neues Dilemma. Würde er sie wirklich lieben, sagt sie, würde er nicht mehr auf den Ruf der Kaserne hören; nein, er würde ihr folgen und sich mit ihr „dort in den Bergen“ jener „berauschenden Sache“ namens „Freiheit“ hingeben. Carmen öffnet Perspektiven, die vertraute Koordinaten ins Wanken bringen – sei es die Sehnsucht nach Sicherheit und Status, den Vorrang der Zukunft vor dem Jetzt, den Glauben an eine hierarchische Gesellschaft oder das Bedürfnis nach klaren Grenzen und eindeutigen Identitäten.
In der literarischen Vorlage der Oper, Prosper Mérimées Novelle Carmen, ist José selbst der Erzähler seiner Geschichte. Auf der Bühne erhielt Carmen notwendigerweise eine eigene Stimme. Dennoch gibt sie kaum etwas von ihrem Innenleben preis. Während Bizet der Musik Josés die Qualität leidenschaftlichen, zunehmend aggressiven Gefühlsausdrucks verlieh, integrierte er in die Musik Carmens spanische und „Zigeuner“-Idiome ebenso wie Populärmusik. Doch wo spielt Carmen mit Rollen, wo ist sie sie selbst? Sie wechselt rapide zwischen Zugänglichkeit und Verweigerung, ist wie Licht, das sich nicht fassen lässt.
Die Regisseurin und Choreografin Gabriela Carrizo macht sich auf die Suche nach der Identität und den Motiven dieser zum Mythos gewordenen Frau und nimmt in ihrer Inszenierung Carmens Perspektive ebenso in den Fokus wie diejenige Josés. Wie in den Arbeiten für ihre Tanztheater-Kompanie Peeping Tom, die von intensiver Körperlichkeit geprägt, bedeutungsreich und poetisch sind, zoomt sie dabei tief in die Psyche und das Unbewusste der Figuren hinein. Über die Darstellung einer fatalen Zweierbeziehung hinaus geht es Carrizo darum, spürbar zu machen, welchen Anteil das Umfeld an der Dynamik der Geschichte und deren tragischem Ausgang hat. Welche Rolle spielen familiäre Bindungen, vor allem Josés Verhältnis zu seiner Mutter, oder die bei Mérimée nicht vorkommenden Figuren Micaëla mit ihrer „anständigen“ Weiblichkeit und Escamillo mit seiner grellen Virilität? Wie bestimmend sind schließlich die unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen, denen José im Grunde genauso fremd bleibt wie Carmen? Bizets Oper ist auch eine Geschichte über die Begegnung mit Differenz – im Anderen und in uns selbst –, über ihre Wahrnehmung als Bereicherung oder Bedrohung und über unseren Umgang mit ihr.
Besetzung:
Asmik Grigorian, Carmen
Jonathan Tetelman, Don José
Kristina Mkhitaryan, Micaëla
Davide Luciano, Escamillo
Iveta Simonyan, Frasquita
Anita Monserrat, Mercédès
Matthias Winckhler, Zuniga
Liviu Holender, Moralès
Michael Arivony, Le Dancaïre
Mingjie Lei, Le Remendado
Eurudike De Beul, Amparo Cortés, Boston Gallacher, Balder Hansen, Chey Jurado, Seungwoo Park, Romeu Runa, Charlie Skuy, Eliana Stragapede - Performer·innen von Peeping Tom
Ensembles:
Utopia Choir
Vitaly Polonsky, Choreinstudierung
Bachchor Salzburg
Michael Schneider, Choreinstudierung
Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor
Wolfgang Götz, Regina Sgier, Choreinstudierung
Utopia Orchestra
In französischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln
Termine
So 26.7.2026, 19:00
Do 30.7.2026, 19:00
Mo 3.8.2026, 19:30und weitere Termine
Sa 8.8.2026, 18:30
Mi 12.8.2026, 19:00
Sa 15.8.2026, 18:30
Fr 21.8.2026, 19:00
Mi 26.8.2026, 19:00
Drame lyrique in vier Akten
(entstanden 1885—1887, uraufgeführt 1892)
Libretto von Édouard Blau, Paul Milliet und Georges Hartmann
nach dem Roman Die Leiden des jungen Werther von Johann Wolfgang von Goethe
Konzertante Aufführung
„Mein ganzes Wesen bleibt gleichgültig gegen alles, was nicht Du ist!“
In seiner Autobiografie berichtet Jules Massenet von einer Deutschlandreise, die er im Sommer 1886 mit seinem Freund und Verleger Georges Hartmann unternahm: In Wetzlar, dem Schauplatz von Goethes Briefroman Die Leiden des jungen Werther, überreichte Hartmann ihm ein vergilbtes Exemplar dieses Werks, und Massenet konnte sich „nicht von der Lektüre jener glühenden Briefe losreißen“.
Die romantisierte Schilderung der Entstehung der Oper Werther – tatsächlich hatten Massenet und seine Librettisten schon 1885 mit der Arbeit begonnen – entspricht der Unwirklichkeit des Idylls, das sich dem jungen Titelhelden bei seiner ersten Begegnung mit Charlotte darbietet: Der Amtmann studiert mit seinen Kindern bereits im Juli ein Weihnachtslied ein, und Charlotte, seine älteste Tochter, übernimmt in rührender Selbsthingabe die Rolle der verstorbenen Mutter. Noch am selben Abend gesteht Werther der jungen Frau schwärmerisch seine Gefühle: Sein Leben würde er hingeben, um ihr angehören zu dürfen. Als er aber von ihrer Verlobung mit Albert erfährt, stürmt er davon. Erst nach Charlottes Hochzeit kehrt er nach Wetzlar zurück und hofft, ihr in Freundschaft verbunden bleiben zu können. Doch seine Liebe bricht sich immer wieder Bahn, und auch Charlotte wird sich bei der Lektüre von Werthers leidenschaftlichen Briefen ihrer Gefühle für ihn bewusst. Am Weihnachtstag erbittet Werther von Albert dessen Pistolen. Von einer dunklen Vorahnung getrieben eilt Charlotte zu ihm, doch sie kommt zu spät: Werther stirbt in ihren Armen.
In seiner Vertonung von Goethes Jugendwerk leuchtet Massenet das Beziehungsgeflecht zwischen Werther, Charlotte und Albert psychologisch subtil aus. Besondere Wirkung erzielt er durch die scharfe Kontrastierung von idyllischem Setting und tragischem Handlungsverlauf. Werthers Selbstmord war wesentlich dafür verantwortlich, dass sich in Paris keine Bühne für die Uraufführung fand. Erst 1892 feierte das Stück an der Wiener Hofoper seine glänzende Premiere und zählt bis heute zu den erfolgreichsten Opern des französischen Repertoires.
David Treffinger
Translation: Chris Walton
Alain Altinoglu, Musikalische Leitung
Besetzung:
Benjamin Bernheim, Werther
Marianne Crebassa, Charlotte
Sandra Hamaoui, Sophie
Andrey Zhilikhovsky, Albert
Manuel Winckhler, Le Bailli
Tomislav Jukić, Schmidt
sowie Teilnehmer·innen des YSP
Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor
Wolfgang Götz, Regina Sgier, Choreinstudierung
Orchestre symphonique de la Monnaie / Symfonieorkest van de Munt
In französischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln
Termine
Mi 29.7.2026, 19:00 | Ticket
Sa 1.8.2026, 19:00 | Ticket
Oper in einem Aufzuge nebst einem Vorspiel op. 60
(entstanden 1911—1912, zweite Fassung uraufgeführt 1916)
Libretto von Hugo von Hofmannsthal
Neuinszenierung
„Du bist der Herr über ein dunkles Schiff, das fährt den dunklen Pfad.“
Der reichste Mann von Wien ist niemand zum Gernhaben. Jedenfalls wenn man dem Bild traut, das sein Personal von ihm vermittelt. Herrisch und rücksichtslos schmeißt er aus der Ferne das musikalische Programm einer „großen Assemblee“ in seinem Stadtpalais um, während backstage schon die Vorbereitungen für die Aufführung in vollem Gange sind. Gekränkte Künstlerehre ist ihm zu egal, um sich überhaupt damit zu befassen. Die Opera seria Ariadne auf Naxos, die ein hoffnungsvoller Nachwuchskomponist extra für den Anlass komponiert hat, zählt für ihn lediglich zu den „Verdauung fördernden Genüssen“ wie Feuerwerk und Tanz. Am besten hält man sie kurz – oder noch besser, mischt sie mit einer Opera buffa, damit es nicht fad wird.
Dieses ätzende Porträt eines kulturlosen Superreichen, der nur durch seine arroganten Lakaien in Erscheinung tritt, erinnert nicht zufällig an die High Snobiety, die Molière in seinen Komödien dem Spott preisgab. Die erste Fassung der Oper Ariadne auf Naxos hatten Richard Strauss und sein Textautor Hugo von Hofmannsthal als Teil ihrer Adaption von Molières Der Bürger als Edelmann entwickelt. Diese am 25. Oktober 1912 im Kleinen Haus des Stuttgarter Hoftheaters uraufgeführte Kreuzung von Sprech- und Musiktheater fiel beim Premierenpublikum ziemlich durch.
Hofmannsthal und Strauss packte der Misserfolg bei eben der Künstlerehre. Also ersetzten sie Molières Komödie durch ein operettenhaftes „Vorspiel“ mit nur noch einer Sprechrolle, behielten den ironischen Ton und den gezierten Inhalt aber bei, als sie die Komplikationen um das musikalische Bankett im Haus des Steinreichen neu dichteten und komponierten und vier Jahre später in der Wiener Hofoper herausbrachten.
Das hysterisch grundierte Vorspiel, in dem überreizte Künstlerfiguren, Volkstheater-Erotik und Wiener Schmäh ein hohes komödiantisches Tempo erzeugen, übertrug Strauss in einen beschwingten, heiteren Parlando-Stil. Die festliche „Opernaufführung“, die den antiken Ariadne-Stoff mit der fiktiven Komödie Die ungetreue Zerbinetta und ihre vier Liebhaber verbindet, folgt dagegen einem eher klassischen Kompositionsansatz, in dem die siegreiche Hochkultur mit vielen Verweisen in die Musikgeschichte gefeiert wird.
Um diese Parodie auf die großbürgerlichen Blender der Wiener Ringstraße in die Gegenwart zu versetzen, begibt sich Regisseur Ersan Mondtag, der mit dieser Inszenierung sein Salzburger Festspieldebüt gibt, in die Milchstraße. Denn die reichsten Kulturlosen unserer Zeit wollen ihre Bankette am liebsten auf dem Mars feiern, wohin ihnen nur die Exklusivsten der Exklusiven folgen können. Und wo die Künstlerinnen und Künstler wiederum weit unter dem letzten Hausbediensteten rangieren, als freischaffende Klang-Konditoren für den musikalischen Nachtisch.
Auf diesem Wüstenplanet ist die „wüste Insel“ Naxos, auf der im zweiten Teil des Werks die Begegnung von Ariadne und Bacchus stattfindet, dann eine stille Metapher moderner Rücksichtslosigkeit. Männer, die sich alles leisten können, verwüsten erst mit ihren gierigen Geschäften die angestammte Heimat, so wie die Griechen ihre grünen Inseln für den Bau von Kriegsschiffen abgeholzt haben, um Troja zu plündern. Danach entfernen die „Sieger“ sich mit ihrem Raubgut in Gegenden, die nur sie erreichen und bewohnen können, wie Bacchus, der Ariadne auf seine Passage in den Olymp mitnimmt.
Von Wüste zu Wüste ist es für die egomanischen Helden der Geldvermehrung also nur ein Katzensprung. Und ihr modernes Leitbild für die Flucht in den Weltraum ist tatsächlich fest verbunden mit dem Ariadne-Mythos. Der eigentliche Retter der kretischen Königstochter, der Erfinder des Ariadne-Fadens, war Dädalus, der erste fliegende Mensch und Schutzheilige der Raumfahrt. Ariadne selbst wird nach dem Tod von ihrem göttlichen Gatten Bacchus als Sternbild am Firmament verewigt. Dort werden bald auch die luftdichten Paläste der kapitalistischen Götter stehen. In ihren kostspieligen Sandburgen kann sich dann die Farce wiederholen, die Strauss und Hofmannsthal über die Wiener Bourgeoisie geschaffen haben. Das Feuerwerk am Ende mag allerdings ein anderes sein.
Till Briegleb
Manfred Honeck, Musikalische Leitung
Ersan Mondtag, Regie / Bühne / Kostüme
Henning Streck, Licht
Luis August Krawen, Video
Till Briegleb, Dramaturgie
Besetzung:
Kate Lindsey, Der Komponist
Elīna Garanča, Primadonna / Ariadne
Eric Cutler, Der Tenor / Bacchus
Ziyi Dai, Zerbinetta
Johannes Silberschneider, Der Haushofmeister
Christoph Pohl, Ein Musiklehrer
Jonas Hacker, Der Tanzmeister
Leon Košavić, Harlekin
Michael Porter, Scaramuccio
Lukas Enoch Lemcke, Truffaldin
Theodore Browne, Brighella
Jasmin Delfs, Najade
Anja Mittermüller*, Dryade
Marlene Metzger, Echo
und andere
(* Teilnehmerin des YSP)
Ensemble:
Wiener Philharmoniker
In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln
Termine
So 2.8.2026, 20:00 | Ticket
Fr 7.8.2026, 18:30 | Ticket
Mo 10.8.2026, 19:30 | Ticketund weitere Termine